Ein stärkere Stimme der Zivilgesellschaft!
Die Dynamik und die Radikalität der Digitalisierung stellt die direkte Demokratie auf eine Bewährungsprobe. Sie muss sich neu erfinden und gleichzeitig das fein austarierte System in Balance halten – und dies in möglichst kurzer Zeit. Kommt dazu, dass die Schweiz heute grosse Mühe hat, auf den politischen Wandel im eigenen Land und im globalen Kontext zu reagieren. Viele zentrale Fragen – etwa die Altersvorsorge oder das Verhältnis zu Europa – bleiben über Jahre oder gar Jahrzehnte in politischen Prozessen hängen. Ob die Schweiz künftig tragfähige Antworten auf die drängendsten Fragen findet, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es uns gelingt, die Weiterentwicklung der direkten Demokratie entschieden voranzutreiben.
Im politischen System der Schweiz stehen die Bürgerinnen und Bürger im Zentrum. Sie sind es, die die Institutionen tragen – sei es über Partizipation an Wahlen und Abstimmungen oder im Milizsystem. Gerade hier zeigt sich aber eine gefährliche Entwicklung. Denn die politische Freiwilligenarbeit steht unter Druck, da die Bereitschaft, sich verbindlich zu engagieren, abgenommen hat. Deshalb müssen sich die demokratischen Partizipationsformen dringend an die neuen Bedürfnisse der Bevölkerung und die technologischen Möglichkeiten anpassen.
Civic Tech für die direkte Demokratie
Die Bürgerinnen und Bürger müssen über die notwendigen Instrumente verfügen, um effektiver am demokratischen Prozess mitwirken zu können. Dafür benötigt die Demokratie entsprechende Instrumente, die heute unter dem Begriff «Civic Tech» zusammengefasst werden: Technologien, die es erlauben, sich aktiver in die politischen Prozesse einzuschalten und mehr Verantwortung zu übernehmen.
In der Schweiz gibt es jedoch kaum Projekte, die politisches Engagement und Beteiligung – über Unterschriftensammlungen, Abstimmungen und Wahlen hinaus – fördern und verstärken. Dies benachteiligt die wachsende Zahl von Einzelpersonen, Netzwerken und Verbänden, die sich über soziale Medien organisieren. Das trifft insbesondere die jüngere Bevölkerung, deren politisches Engagement sich vorwiegend auf dem Smartphone abspielt. Heute nimmt nur ein Drittel der Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren ihr Wahl- und Stimmrecht wahr. Das liegt keineswegs am fehlenden Interesse: Der digitale Aktivismus von 15- bis 25-jährigen hat in den letzten Jahren markant zugenommen und weist – im Vergleich zu anderen Altersgruppen – das stärkste Mobilisierungspotential auf.
Der Meinungsbildungsprozess in einem demokratischen System ist grundsätzlich kein Sprint, sondern ein Marathon. Auch wenn nationale Abstimmungen jeweils am meisten mediale Aufmerksamkeit erhalten, ist der wesentliche Prozess, der oft über Jahre und verschiedenste Instanzen läuft, das Vernehmlassungsverfahren und die anschliessende parlamentarische Behandlung von Geschäften.
Demokratie-Plattformen wie WeCollect haben gezeigt, dass es im Netz gelingen kann, Bevölkerungsgruppen in die Sammlung von Unterschriften für Initiativen und Referenden zu involvieren, die weniger gut organisiert sind. Auf Grundlage dieser Erfahrung hat der Verein Public Beta eine neue Plattform für den parlamentarischen Prozess entwickelt, die wir unter dem Begriff des «Crowd Lobbying» zusammenfassen.
Lobbying mit Schwarmlogik
Unter Crowd Lobbying verstehen wir die gezielte Beeinflussung von Regierungen und Parlament im Namen einer adhoc-Koalition von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die sich von anderen Interessengruppen nicht oder zu wenig vertreten fühlen. Crowd Lobbying stützt sich auf die Schwarmlogik, wonach einzelne Bürgerinnen und Bürger erst im Verbund das nötige politische Gewicht erhalten, um von Bundesrat und Parlament gehört zu werden.
Eine Ausweitung auf Interessierte, Betroffene oder Fachpersonen hat den Vorteil, dass eine breitere gemeinsame Basis geschaffen würde und damit tragfähigere Lösungen möglich würden. Auch könnten heikle Punkte frühzeitig identifiziert werden. Eine Plattform bietet zudem einen neuen, konstruktiven Weg für Anliegen, die bisher in der Form von Initiativen und Referenden ihren Weg auf das politische Parkett fanden. Crowd Lobbying wird auf diese Weise zu einem partizipativen Knotenpunkt der digitalen Demokratie.
Durch den Fokus auf digitale Partizipationsformen können niederschwellige Angebote gemacht werden, die weder Zeit- noch Ortsgebunden sind sowie wenig Vorkenntnisse verlangen. Daher können Bevölkerungsgruppen in den Parlamentsprozess einbezogen werden, die von bisherigen Angeboten wie Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen weniger oder gar nicht erreicht werden. Eine wichtige Zielgruppe sind Jugendliche, die sich am stärksten auf digitalen Kanälen bewegen und mit Crowd Lobbying einen Einstieg in die politische Partizipation finden können, zumal es – im Vergleich zum Abstimmen und Wählen – dafür kein Mindestalter gibt.
Daniel Graf, 5. November 2020
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